06Januar
2013

Tagebuch eines Zeltbewohners - Teil 4

Dienstag, 1.1.

Da ich es am Vorabend rechtzeitig schaffte, mich auszuklinken, konnte ich ohne Kater und nur geringfügig übermüded aufstehen. Beim Frühstück war ich de facto alleine. Mica tauchte noch kurz auf, bevor ich mich auf den Weg zu CONAF machte um dort einen entspannten Vormittag zu haben. Es war keine große Überraschung, dass an diesem Tag nicht allzu viele Touristen ankamen und so konnten die Erläuterungen und Einweisungen vor kleinem Publikum gemacht werden.

Zurück im Camp traf ich erst Louise und später Mica, die mir beide reklärten, dass Marcela noch nicht wieder aufgetaucht sei, wenngleich sie eigentlich am 31.12. schon hätte zurückkehren sollen. Die überaschende Freizeit nutzte ich für einen Spaziergang vom Parkeingang bei CONAF zum Sarmiento-See. Landschaftlich war das im Vergleich mit den Bergen weiter im Norden zwar eher öde, aber dafür gab es reichlich Tiere zu sehen. Allen voran etliche Guanacos, die ich bisher ja nur aus dem Bus kannte. Im Grunde war der Pfad eine regelrechte Guanaco-Allee, bei dessen Nutzung man fast zwangsläufig sehr nah an die Burschen ran kommt und insbesondere bei den vielen Jungtieren das sehr flauschig ausschauende Fell auch mal aus der Nähe betrachten kann. Ansonsten gab es zahlreiche Vögel zu sehen, von denen ich aber nur Ñandús mit Namen identifizieren konnte.

Guanaco steht vorm Almirante Nieto Motiv

Abends fing ich dann mal mit einem neuen Buch an. Nachdem ich den "Man from St. Petersburg" schon vor ein paar Tagen abgeschlossen hatte, stand nun Stephen Booths "The Devil's Edge" auf dem Programm.

Mittwoch, 2.1.

Vormittags lieferte ich mir über mehrere Stunden einen enorm spannenden Kampf mit meiner eigenen Trägheit, den ich aber durch technischen K.O. verlor. Irgendwann schnappte ich dann das Gerücht auf, dass Marcela wohl Mittags zurückkehren würde, also zusammen mit den neuen Freiwilligen, die das nächste 15-Tage-Programm bestreiten würden. Und so kam es dann auch. Mittags wurde unser Team um folgende Personen verstärkt:

  • Anna und Paul aus den USA 
  • Nicolas und Hanne aus Belgien
  • Rebecca, ebenfalls aus den USA, aber unabhängig von Paul und Anna
  • Blandine aus Frankreich

Viel Zeit im Verlaufe das Tages ging dann dafür drauf, Gespräche über den Fortschritt der individuellen Projekte zu führen. Marcela kündigte an, dass wir drei "Alteingesessenen" mit unseren individuellen Projekten fortfahren sollten und die jüngst angekommenen uns dabei unterstützen sollten. Da ich in Ermangelung von Materialien kaum hätte weiterarbeiten können und in Anbetracht meiner Motivation für diesen Schnulli auch nicht wollen, erkundigte ich mich, wie das denn im meinem Falle aussehen sollte. Aussage dazu war aber lediglich, dass das Thema Recycling (im aller-aller-weitesten Sinne der Sache) in anderer Richtung vorangetrieben werden sollte.

Am späteren Abend gab es dann eine Fachvortrag eines Biologen, der wohl mit Marcela zusammenarbeitete, weswegen wir dem ganzen beiwohnen sollten. Thema war die Entwicklung von Artenvielfalt in maritimen Systemen. Ich bemühte mich, aufmerksam zuzuhören aber die vielen Fachtermina auf Spanisch und die aus verschiedenen Fachzeitschrften zusammengestückelten Folien mit mindestens 1.000 Wörtern pro Seite machten es mir nicht einfach. Nach ungefähr einer halben Stunde stieg ich dann psychisch aus und dillerte - ebenso wie die anderen - den Ende des Vortrags entgegen.

Donnerstag, 3.1.

Beim angesetzten Treffen gegen 9:00 erfuhr ich, dass mir mit Anna und Nicolas schon mal zwei Helfer für das "Recycling"-Projekt zugeordnet worden waren. Unsere Aufgabe sollte darin bestehen, das von Marcela gebastelte Mülltrennungssystem bei den Küchen im privaten Sektor durchzusetzen. Das umfasste also Restaurant und Bar des Hotels, drei Refugios, einen separaten Zeltplatz und leider auch unsere Kantine, das Casino. In einer 2-stündigen Diskussion versuchten wir dann - die ganzen gewichtigen Probleme und Gegenargumente einer Keule gleich schwingend - das Ganze zu kippen und stattdessen etwas anderes vorzuschlagen. Ins Feld führten wir dabei hauptsächlich, dass es kein funktionierendes Recycling basierend auf Mülltrennung außerhalb des Parkes in Chile gebe und wir daher nur aus Prinzip, aber ohne echten Nutzen trennen würden. Außerdem würde auf Anhieb mit je nach Standort 5-7 verschiedenen Tonnen etwas großkalibrig begonnen. Hinzu käme dann noch, dass wir das nur im privaten Teil des Parkes etablieren könnten und die Touristen, die ja dazu angehalten werden, ihren Müll nicht in den entlegenen Camps zu hinterlassen, grundsätzlich mit nicht entsprechend sortiertem Müll ankämen. Was aber am Schlimmsten ist: Wir wollten es tunlichst vermeiden, in der Küche unserer eigenen Kantine als Regulatoren aufzutreten - mit den Köchen sollte man es sich schließlich nicht verscherzen.

Aber all unsere eloquent vorgetragenen Weisheiten halfen nichts. Die Sache war schon beschlossen und unsere gefühlte Chefin hatte kein Interesse daran, umzuplanen. Unsere restliche Tagesaufgabe war es daher, eine möglichst pingelige Liste von Checkpunkten zu entwerfen, die wir bei Inspektionen abzuarbeiten hätten. Da wir keinen wirklichen Überblick über die Abläufe in den Küchen hatten, war das ein ziemliche halbherziges ins Blaue raten.

Am späteren Abend gab es dann noch einen weiteren Vortrag, diesmal die Präsentation der Abschlussarbeit einer Studentin des Professors, der den Vortrag vom Vortag gehalten hatte. Das Thema waren diesmal bestimmte Typen von Blumen, die absolut abhängig von einer bestimmten Art von Insekt zur Fortpflanzung waren. Den Erläuterungen die ganze Zeit über zu folgen, war diesmal um Längen einfacher.

Freitag, 4.1.

Am Freitag stand ein erneuter Aufstieg zum Torres-Aussichtspunkt auf dem Programm, wobei das hauptsächlich für die jüngst Angekommenen gedacht war. Da Marcela mit ziemlich straffem Tempo voranrannte, obwohl Rebecca eine Knöchelverletzung hatte, waren wir ziemlich schnell weit über den Pfad verteilt. Ich durfte mich dabei auf dem am Wege nach oben gelegenen Chileno-Refugio ausklinken, um da gleich mal die ordnungsgemäße Mülltrennung zu überprüfen. Die bunten Tonnen waren außerhalb der Camping-Duschen aufgestellt worden und wurden daher hauptsächlich von den Touristen befüllt, was so mittelmäßig funktionierte. In der Küche des Refugios aber schien es niemand in Betracht gezogen zu haben, den Müll zu trennen. Halbherzig plauderte ich daher eine Weile mit den dort Arbeitenden über eventuelle Änderungen, die die Mülltrennung auch in der Küche durchsetzen könnten. Halbherzig hörten diese mir zu und nickten gelegentlich halbherzig.

Samstag, 5.1.

Strömender Regen rundete diesen recht tristen Tag ab. Wir belästigten das Personal der Refugios Central und Norte, sowie Bar und Restaurtant des Hotels. Genauer gesagt war ich dabei hauptsächlich mit belästigen beschäftigt, während mir wahlweise Anna oder Nicolas nur folgten und in Ermangelung von Spanischkenntnissen zusahen. Wir gaben uns dabei mehr oder minder kritisch und machten Photos von allen Mülleimern und deren Inhalten, was uns reichlich albern vorkam. Den Müll trennte aber niemand, zumeist vorsätzlich, da die meisten Leute die Argumente kannten, die wir zwei Tage zuvor gegenüber Marcela ins Feld zu führen versuchten. Nur im Refugio Central gab man sich vorbildlich, es wurde uns aber untersagt die Küche zu betreten oder Photos zu machen.

Hate keinen Bezug zur Geschichte, aber die sind mir nochmal vor die Kamera gelaufen: Fuchs mit Nachwuchs (heißen die auch Welpen?)

Für musikalische Inspiration sorgte ein Israeli, der wohl zum Bekanntenkreis von Blandine gehörte und sich wohl ein bisschen "durchschmarotzte". Er erklärte, dass er gerne im Austausch für kostenloses Zelten und Verpflegung in der Kantine ein wenig aushelfen wollte und schien das Angebot auch mal präventiv zu testen. Da er aber ein recht gutes Musiksortiment dabei hatte und mir eine interessante Band namens "Orphaned Land" vorstellte, fragte ich nicht allzu genau nach dem Fotschritt bei seinen Bemühungen.

Sonntag, 6.1.

Auf der Sonntag war ziemlich regnerisch, so dass meine Haupttätigkeit darin bestand, auf besseres Wetter für meine vier anstehenden freien Tage zu hoffen. Nach dem ich das "W" ja schon hinter mich gebracht hatte, war mein Beschluss , die sogenannte "Backside" in Angriff zu nehmen, also den Teil des Haupttrails, der im Gegensatz zum eher "W" hinter den großen Bergen des Parkes liegt. Bei starkem Regen oder Wind aufgrund des Terrains und der zu überquerenden Pässe also kein Zuckerschlecken. Abgesehen von Der Routenplanung musste ich noch ein bisschen meiner Schnullitätigkeit nachgehen und wir erdreisteten uns daher tatsächlich dazu, in der Kantinenküche zu inspizieren. Beinahe ungläubig nahmen wir zur Kenntnis, dass dort der Müll aber vorbildlich separiert wird, was uns glücklicherweise Diskussionen an dieser Stelle ersparte. Ansonsten schrieben wir hauptsächlich eine Art Standardcheckliste und daran angelehnte Protokolle unserer bisherigen "Untersuchungen".

Am späteten Abend hing dann die neue 5-Tages-Wetter-Vorhersage im Hotel aus und mir wurde schon reichlich mulmig. Für den 7.1. waren - je nach Höhe - Regen oder Schnee angesagt, für die nachfolgenden Tage dann nachlassender Niederschlag und dafür in stärkerem Maße zunehmender Wind, am 9. und 10. bis zu 100 km/h.