03Dezember
2012

Ein Eintrag ins Buch der Geschichten aus einer Welt, die lieber ein Dorf sein wollte

Wie ja hinlänglich bekannt ist, ordnen führende Taxonomen den Menschen der Gruppe der Gewohnheitstiere zu. Da auch ich da keine vollständige Ausßnahme bin, gehe ich hier in Santiago einigen Tätigkeiten nach, die auch schon in Deutschland für mich typisch waren. Eine davon war das Besuchen des spanischen Stammtisches - eine herausragende Gelegenheit, meine Wald-und-Wiesen-Grammatik regelmäßig ein paar Muttersprachlern um die Ohren zu stottern.

Leider hat sich das Wort Stammtisch in Chile nicht so richtig durchgesetzt, weswegen sich das hier formell Poliglota nennt, aber die Idee ist ähnlich. Jeden Montag treffen wir (eine Gruppe in variierender Besetzung) uns in einer Bar um so eine Art Strachaustausch zu betreiben. Gesprochen wird auf Deutsch oder Spanisch und die meisten Teilnehmer sind Chilenen, die ihre Deutsch üben oder auffrischen wollen. Das führt mitunter zu sehr eigenartigen Beispielen. So war es letzte Woche so, dass der Organisator eine Art Karaoke-Abend daraus machen wollte, bei der für sein Verständnis typisch deutsche Lieder gesungen werden. Normalerweise habe ich ja eine tiefwurzelnde Abneigung gegenüber Schlagern aus den 60er und 70er Jahren, aber ich muss zugeben, dass es halbwegs witzig ist, wenn Chilenen dazu singen.

Der Fairness halber muss auch gesagt werden, dass ein paar weniger abschreckende Lieder, beispielsweise von Die Ärzte oder Die Toten Hosen zu hören waren und glücklicher Weise musste ich kein Tokio Hotel ertragen, welche hier aus mir unbekannten Gründen enorm bekannt sind.

Im Grunde genommen war etwas Ähnliches auch für gestern geplant gewesen, aber da wir nur wenige Leute waren, hielten sich die Gesangseinlagen in Grenzen.

Dafür aber war ein Kolumbianer namens Edward zu gegen, den ich tatsächlich aus Jena kenne und der dort auch gelegentlich den Stammtisch besuchte. Edward ist Physiker und aufgrund der herausragend greifenden Maßnahmen zur Integration ausländischer Fachkräfte musste er leider aus Deutschland abreisen. Dafür unterrichtet er jetzt in seinem Fachgebiet an der Universidad Catolica in Santiago de Chile, was mir dieses unerwartete Wiedersehen bescherte.

Da ich in Stochastik nie genau aufgepasst habe, kann ich nicht sagen, wie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich ein solcher Zufall ist, aber zumindest erscheint er mir unwahrscheinlich genug, dass ich die Floskel bemühen muss, die da besagt, dass die Welt doch ein Dorf ist.

Für Freitag ist schon die Stammtischverabschiedung geplant - das nur für den Fall, dass sich jemand entschließen sollte, spontan vorbeizuschauen.