26November
2012

Wochenende Teil 2 - Fußball im Da'Tito

Am Samstagabend entschloss ich mich kurzerhand, mal ein chilenisches Fußballspiel in einer Bar zu sehen. Ohne Ahnung, wo man das am Besten so macht, setzte ich mich also in die erstbeste Bar, in der gerade ein Spiel lief und wurde dann innerhalb kürzester Zeit mit einer geradezu sensationellen Flut an Impressionen überschüttet.

Das Spiel

Zu sehen gab es ein heißumkämpftes Spiel zwischen Colo-Colo und Italiano, welche ihren Namen zum Trotz beide Vereine aus Santiago waren. Im Grunde genommen gab es keine ruhige Minute. Ich durfte Zeuge werden, wie ein Handelfmeter verwandelt und 4 weitere teilweise spektakuläre Tore erzielt wurden, zwei Spieler mit rot vom Platz flogen, es ausschließlich Strafraumszenen und fast kein Spiel im Mittelfeld gab, die Spieler ständig mit dem Schiri oder dessen Assistenten diskutierten und einige andere sich ein paar Mal von Spiel verabschiedeten, um die Fans zu bitten, doch etwas weniger Gegenstände auf das Spielfeld zu werfen. Und dabei hatte ich die erste Stunde Spielzeit und vier weitere Tore komplett verpasst. Darauf aufbauend leite ich mal folgende chilenische Spieltaktik ab:

Gespielt wird im klassischen 3-1-1-5 System mit Libero vor der 3er-Abwehrkette. Mindestens einer der Abwehrspieler hat im Verlaufe der Partie einen Elfmeter zu verschulden. Davon abgesehen ist es die Hauptaufgabe der Verteidiger, den Ball wann immer möglich nach vorne zu dreschen, damit man sich das langweilige Spiel im Mittelfeld oder Ball-Hin-und-Hergeschiebe ersparen kann. Libero ist eine pro Verein mindestens 4-fach zu besetzende Position, da immer mindestens einer aufgrund der zahlreichen Fouls verletzt ist und zwei andere ihre Rotsperren absitzen müssen. Der damit einzige verbleibende mögliche Libero hat dann daher auch die Aufgabe, sich eigneständig vom Spiel zu verabschieden, indem er sich beim Schiri die Vorzeitig-Feierabend-Karte abholt.

Der einzige Mittelfeldspieler kommt nur bei Anstößen zu Ballkontakten und muss ansonsten die völlig zurecht aufgebrachten Fans beruhigen.

Im Angriff gibt es einen klassischen Mittelstürmer mit ihn umgebender Stürmerraute. Wer von diesen nicht mindestens ein Tor erzielt, verliert seinen Stammplatz. Entsprechend groß ist die Motivation und die Frequenz mit der die Tore fallen.

 

Am Ende konnten die Fans von Colo-Colo jubeln, die in der Bar die Mehrheit stellten. Ihr Team verlor zwar tragisch mit 4:5, aber es war das Rückspiel einer K.O.-Runde und das Hinspiel hatten sie einfach höher gewonnen.

Die Bar

Die Bar Da'Tito selbst war eine einzige Sensation. Den eigenen Ansprüchen nach wäre man wohl gerne eine echte Pizzeria gewesen, aber dazu war das Ganze einfach zu unkonventionell.

Es gab einige Stühle außerhalb, einen Hauptraum und einen Barteil, in dem ich saß und dabei den hinter der Theke werkelnden 3 Pizzagroßmeistern zuschauen konnte.

Weitere Tische hätte man hier kaum unterbringen können, da ein großer Teil des Bar-Bereichs mit Fässern und Bierkästen vollgestellt war. Hinter der Theke vereinten sich auch ca. 10 qm Küche, Kasse, Schankbereich und zahlreiche Kühlschränke, aus denen dann das Bier serviert wurde. Das auf den zahlreichen Werbetafeln angepriesene Budweiser gab es aber leider nicht. Des Weiteren existierten zwar etliche Zapfhähne, aber egal was man bestellte, Bier gab's immer aus Flaschen, die aus einem Kühlschrank hervorgeholt wurden. Nur ein Zapfhahn wurde gelegentlich genutzt, um ein paar Schlucke in eine große Schale zu füllen, welche aber ansonsten keine weitere Funktion zu haben schien. Außerdem wurde einmal ein Pitcher gefüllt, der danach aber in den Kühlschrank wanderte, in das einzige "Stockwerk", welches nicht mit Bierflaschen befüllt war. Darin befanden sich außerdem eine Schnabeltasse mit rosa Pferdchen drauf, ein Teller mit Ananasscheiben aus der Dose und ein schwarzer Plastikbeutel unbekannten Inhalts.

An der Kasse saß wohl der Chef, der im Wesentlichen zwei Aufgaben zu erfüllen schien: Wenn ein Kunde die Rechnung wollte, so tippte er auf einer prähistorischen Registrierkasse die Zahlen nach, die der einzige Kellner auf einem Schmierzettel sammelte. Die zweite Aufgabe war wohl das Sicherstellen, der Kundenzufreidenheit. Als ein Gast darum bat, sein iPhone laden zu dürfen, zeigte er sich hilfsbereit und steckte sofort einen der Kühlschränke ab um eine Steckdose zum Laden freizumachen. Dass er der Chef war, zeigte sich hauptsächlich dadurch, dass der Kellner ihn immer mit "Chef" ansprach. Der Koch indes tat dies nicht. Wann immer er etwas sagte, verwendete er recht wortkarg den Imperativ. Er schien mir auch kein Chilene zu sein, da er typische Chilenismen nicht benutzte. Italiener war er aber wohl auch nicht. Ziemlich viel Zeit verbrachte er damit, große Käseklötze (3 Kilo?) mit einer Brotschneidemaschine in Scheiben zu schneiden, dann zu stapeln und anschließend in den Kühlschrank zu verfrachten, wobei er dabei regelmäßig seine Achsel auf einen anderen Käsestapel drückte. An besagter Stelle hatte seine Kleidung auch einen grundsoliden Fleck.

Pizzen musste er aber gar nicht so viele machen, da die Leute es hier wohl bevorzugten, Hotdogs zu essen. Die dafür benötigte Hauptzutat - trockene Brötchen - lagen noch in ihrer original Supermarkt-Verpackung in der Auslage.

Falls doch mal ein Gast auf die unkonventionelle Idee kam, eine Pizza zu ordern, so rollte der Koch flink ein Stückchen Teig aus, halbierte es, bestrich beide Teile mit Ketchup, legte Käsescheiben drauf, schmierte nochmal Ketchup nach und griff dann zum jeweiligen Belag - meist Oliven oder Miniwürstchen - welchen er dann knauserig über die beiden Hälften verteilte.

Nach 5 Minuten im Ofen war der Gaumenkitzler dann auch schon zum Verzehr bereit.

Leider hatte ich schon vorher gegessen, so dass ich mich mit Bier begnügte.

Beim Verlassen fiel mir ein Aufkleber an der Kasse auf. Die Aufschrift lautete ungelogen:

"Breaking Quality"